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Baummassaker in Berlin |
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Von der Traubenkirsche zur Trauerkirsche - Von Lydia Repke BERLIN.
Grün, saftig, vital – bis Montag, den 21. April, 8.30 Uhr sahen so die
Traubenkirschbäume in der Korsörer Straße in Berlin-Prenzlauer Berg aus.
Aufgrund von Wurzel- und Stockfäule sollten laut Bezirksamt Pankow acht Bäume
gefällt werden. Bürger des Kiezes demonstrierten dagegen. Bereits
um 7 Uhr versammelte sich eine kleine Gruppe von Bürgern in der Korsörer Straße.
Als der erste Baum fiel, pfiffen und schrieen sie: „Mörder, Schweine! Wir
verstoßen gegen das Grundgesetz. Das ist schlimm.“ Seit dem Vorabend hingen Banner von
den Balkonen herunter, ein junger Mann blickte sich um und sagte zu seiner Freundin: „Erst kommt ein Sturm, ein Baum fällt um und dann ist das Gejammer wieder groß“. Vor den von Fäulnis betroffenen Bäumen standen schwarze
Holzkreuze. Auf die Borke waren weiße Herzen gemalt und Zettel mit der
Aufschrift „zum Tode verurteilt“ befestigt. Die anlässlich der Aktion vom
Bezirksamt aufgestellten Halteverbotsschilder waren umgestoßen, die Absperrbänder
durchgerissen.
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Noch Mitte der 90er Jahre standen 1.200 Traubenkirschen, auch bekannt unter dem Namen Prunus padus, im Prenzlauer Berg. „In den letzten zehn Jahren ist immer mal wieder ein Baum beim Sturm umgefallen“, berichtete Stefanie Remlinger, Fraktionsvorsitzende der Grünen und Mitglied der Bezirksverordneten Versammlung in Berlin-Pankow. Der Baumbestand sei auf 700 Bäume geschrumpft, obwohl lediglich 70 Laubbäume dem starken Wind nicht hätten standhalten können. Es bestand der Verdacht, die Traubenkirsche sei nicht als Straßenbaum geeignet. Da das Amt kein Geld hatte, sollten alle Bäume gefällt werden. Gleichzeitig sei kein Geld für Nachpflanzungen vorgesehen gewesen. Remlinger schaute sich die mit Protestplakaten dekorierten Bäume an: „Probleme muss man sichtbar machen. Seit einem halben Jahr ringen die Bürgerinitiative „Rettet den Straßenbaum“ (B.I.R.D.S.), die Umweltverbände Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Naturschutzbund (NABU) und Grüne Liga sowie die Fraktion der Grünen mit dem Bezirksamt.“ Mittlerweile seien die Bäume einzeln untersucht worden, das war schwer durchzusetzen. Zuvor wurde die rein visuelle Methode VTA (visual tree assessment) angewandt, die der Bürgerverein B.I.R.D.S anzweifelte und kurzerhand den Gutachter Michael Barsig beauftragte, ein Resistogramm anzufertigen. Seine Ergebnisse zeigten deutlich weniger kranke Bäume als die der vom Bezirksamt beauftragten Gutachter: Die Ergebnisse von Frank Rinn und Roland Dengler deckten sich weder mit denen vom Baumbiologen Barsig noch mit denen der VTA-Methode. „Letzten Donnerstag haben wir das Problem vehement im Umweltausschuss vorgetragen“, sagte die 37-jährige Bezirksverordnete. Es gäbe endlich einen Geldtopf vom Land Berlin, mit dem beispielsweise Neupflanzungen bezahlt werden könnten. Wie hoch die Summe sein wird und ob die Gutachten daraus finanziert werden müssen, sei ihr unklar. |
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„Wir brauchen die Natur."
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„Oberbonzen
wollen das hier in eine Richtung machen, damit das alles schick aussieht“, empörte
sich der 42-jährige Andreas D. abends vor dem Baummassaker. Ihm sei klar, dass
ein, zwei Bäume sehr schräg dastünden, aber: „Behinderte töten wir ja auch
nicht. Warum gibt es keine Stützen für Bäume?“ Am Hinrichtungstag wolle er
sich morgens ein paar Stunden frei nehmen: „Bäume sind wichtiger als Geld!“
Am darauf folgenden Tag stand die vietnamesische Thị Thanh Hā Nguyêñ
fassungslos vor dem ersten Baumstumpf: „Warum fragen die nicht die Bäume, ob
sie leben wollen? Man muss sie fragen, sie gehören zu unserer Seele.“ Die
29-Jährige fand das Todesurteil grausam, vor allem weil die meisten Bäume
nicht offensichtlich krank aussahen. „Das ist keine Demokratie“, schüttelte
sie verständnislos den Kopf. Man hätte die Bürger fragen sollen. Die Beamten,
die das von oben bestimmt haben, müssten hier schließlich nicht wohnen. Außerdem:
„Wir brauchen die Natur. Wir dürfen sie nicht vergewaltigen, sie wird es
schon richten.“ |
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"Bäume sind Teil der Seele"
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Als
am frühen Morgen klar war, der Baum vor der Hausnummer 19 würde als erster
fallen, begann der lautstarke Protest. „Mörder“, „Schweine“,
„Faschisten“ und einiges Andere durften sich die Polizisten und Angestellten
des Bezirksamtes anhören. Ein aufgebrachter männlicher Anwohner gestikulierte
wild. Es half nichts. Die Polizisten drängten ihn zurück und die Kettensäge
wurde gezückt. Ast für Ast wurde abgesägt. Die Stämm wurden von oben nach
unten in Stücke geteilt und zu Boden geworfen. Der Haufen an Laub und Holz wuchs
Minute für Minute. Eine Bewohnerin des gegenüberliegenden Hauses schlug
ausdauernd ihre Töpfe aufeinander. Gegen neun Uhr rückte ein Dutzend
Beamte der Bereitschaftspolizei (Hundertschaft) an. Insgesamt waren circa 20 Männer
und Frauen in grüner Dienstkleidung anwesend. Einer stark erregten,
schwarzhaarigen Dame entgegnete ein Polizeibeamter: „Sie haben doch den Bürgermeister gewählt.“ Ein Fahrradfahrer, zu Fuß unterwegs im blauen Sporttrikot, gab
dem Herrn in Grün ein bisschen politischen Nachhilfeunterricht: „Seien Sie
vorsichtig. In Berlin wählt man nur die Partei. In Brandenburg und Bayern darf
man auch den Bürgermeister wählen.“ Stefanie
Remlinger von den Grünen stellte fest, „das Ganze kriegt man nur politisch
gestoppt“. Viele Anrufe seien noch in der Früh getätigt worden, um dem
Szenario Einhalt zu gebieten – erfolglos. Der Bezirksbürgermeister, Matthias
Köhne (SPD), ebenfalls zuständig für Umwelt und Natur, sei im Urlaub. Da könne
man nichts machen. Politiker sind als Teil der Legislative Köpfe ohne Arme und
der Kopf des Bezirksbürgermeisters liegt eben gerade in der Sonne. |
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Fotostrecke (Lydia Repke)
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Die Japanerin Asako Koiede (links), 24 Jahre alt, leistet im Moment ihr freiwilliges ökologisches Jahr ab. Die andere Seite des "Grüne Liga"-Banners hält die 21-Jährige Amanda Thari fest. Sie kommt aus der Schweiz und lebt seit zehn Monaten in Berlin. Die beiden Bildungstouristinnen demonstrieren seit 9.15 Uhr dagegen, die Traubenkirschen abzuholzen. (Foto: lyd) |
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