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24. Jahrestagung des Fachverbandes Glücksspielsucht e.V.

6. Dezember 2012

24. Jahrestagung des Fachverbandes Glücksspielsucht e.V.

Berlin, 29.11./6.12.2012. Der diesjährige Tagungsort ist „ein ganz wundervoller Ort“, sagte Ilona Füchtenschnieder bei der Begrüßung. Recht hat die Vorsitzende des Fachverbandes Glücksspielsucht (Fags): die Heilig Kreuz Passionskirche in der Zossener Straße (http://www.heiligkreuzpassion.de/) verleiht mancher Referentenrede etwas Sakrales.

Ihno Gebhardt, Professor an der Brandenburger Polizeihochschule und 2006 Federführer der Glücksspielreferenten der deutschen Länder setzte die historischen Zusammenhänge zum heutigen Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV 2012)auseinander und verwies auf das römische Recht von vor 2000 Jahren.

Im Zeitalter der Europäischen Union (EU) liberalisieren die zuständigen EU-Beamten den Glücksspielmarkt. Darauf haben die nationalen Staaten, Länder und Gemeinden kaum Einfluss. Die einheitliche Harmonisierung habe noch nicht geklappt, aber unter der Überschrift „Verbraucherschutz“ sei eine Vereinheitlichung möglich. „Solange es keine einheitliche Steuer- und Sozialstandards“ gibt, werde es laut Gebhardt keine Harmonisierung geben.

Die Monopolstellen sind vom Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht weiterhin gebilligt, der Europäische Gerichtshof wünsche jedoch einen kohärenten deutschen Glücksspielmarkt.

Gebhardt befürwortet eine Gesamtkohärenzprüfung und eine homogene Glückspielordnung. Das Spielhallenwesen sollte ordnungsrechtlich in den GlüStV eingeordnet werden. „Es ist kein normaler Markt, es ist kein gewollter Markt“, so Gebhardt. Die Länder müssten sich um deutlichere Rahmenbedingungen bemühen: „Müssen die Lotterieannahmestellen beispielsweise in die Abstandsweite mit einbezogen werden oder werden die separat betrachtet?“, fragt er. Gebhardt sagte, mit den praktizierten Sportwettunternehmen seikeiner richtig zufrieden und „es werden Klagen“ auf Deutschland zurollen, da die Einschränkungen nicht so lukrativ und attraktiv seien für das liberale Glücksspielder Sportwettunternehmen und der Spielhallen.

„Ein richtiges Gesetz gibt es nicht, aber auch keine Wahrheit“, stellt Gebhard in den Raum, die Interessenslagen und die Parlamente entschieden differenziert. Die Fakten zeigten jedoch die angestiegenen Suchtpersonenzahlen, „auf die die Gesetzgebung zu reagieren hat“ – auch wenn die nicht optimal gestaltet ist. Die laufenden Entwicklungen stimmen Gebhardt „hoffnungsvoll“. Europaweit betrachtet seien die Märkte nicht gleichförmig und mit Gegenbewegungen realisiert. In Großbritannien werde das Glücksspiel liberal gestaltet, andere Länder wollten zurück zum Monopol. Ein Sperrwesen in den Spielhallen wäre gegenüber den Spielbanken ungerecht, da der Spielbankautomat zu mehr Verlusten führen kann als die Spielhallenapparate, auch wenn bei letzteren die Manipulation nicht ganz ausgeschlossen werden könne. (Website Bundestag Gesundheitsausschuß, Suchtprävention, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/018/1701850.pdf) http://www.bundestag.de/presse/hib/2012_10/2012_456/03.html

Über 200 Personen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich zur zweitägigen Fags-Tagung angemeldet. Zum Spielhallengesetz im Berliner Stadtstaatdas am 2.Juni 2011 in Kraft getreten ist, sagte der Berliner LandtagsabgeordneteDaniel Buchholz (SPD), „wirkt“. Mehr als die Hälfte aller Landesparlamentarier waren sich damals fraktionsübergreifend einig. Wer eine Halle eröffnet muss mittlerweile 500 Meter Abstand zu anderen Spielstätten einhalten, das Personal ist mit Sozialkonzepten betraut, die Automatensteuer wurde verdoppelt. „Kieze veröden durch immer mehr Spielhallen“, so Buchholz, „das hat alle alarmiert“.

Der Automatenverband hatte sich zuvor nicht an freiwillige Vereinbarungen gehalten. Daniel Buchholz selbst hatte Gespräche geführt. Zwei Klagen liegen vor, doch er sei sicher, „mit den Übergangsfristen von zwei bis fünf Jahren“ würden die Richter auch überzeugt werden. Nun solle es den Café-Casinos an den Kragen gehen. „Man hat eine normale Gaststättenlizenz“, erklärt Buchholz, innen sind Automaten, das Gepräge „ist eine Spielhalle in klein“. Bei „Extrembeispielen steht eine Kiste Limonade im Raum als gastronomisches Angebot“, erzählte er.

Die Bezirke kontrollieren sehr unterschiedlich. Das soll in Berlinnun einheitlicher klappen. „Zweimal haben Schwerpunktrazzien stattgefunden“, sagt Buchholz, das solle sich ausweiten, die„Beanstandungsquote war 98 Prozent“. Außerdem „laufen da nicht nur honorige Geschäfte“, gibt der SPD-Landtagsabgeordnete Buchholz zu Bedenken.

Ilona Füchtenschnieder hoffe, dass aus dem Berliner Gesetz bald ein bundesweites Gesetz entstehe.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierungund FDP-Bundestagsabgeordnete Mechthild Dyckmanskann sich auch eine bundesweite Regel vorstellen und angeglichene Spielhallenverordnungen. Die Sperrdatei für Glücksspielsüchtige können in Deutschland nur die Länder verordnen. Im Zuge der Einwanderungsentwicklung sind von der Automatenspielsucht Väter und Söhne mit Migrationshintergrund am meisten betroffen, diese Familien sollen in der Präventionsarbeit mit berücksichtigt werden. Am 24. September gab es den bundesweiten Aktionstag Sucht zur Unterstützung des effektiven Spielerschutzes.

Der Schweizer Wissenschaftler der Psychiatrie aus Zürich Mario Gmür sagte, dass in einigen Kantonen Spielhallen verboten seien. Das Personal sei geschult, expansive Spieler zu sperren. In der Praxis funktioniere das nicht.

Der freie Journalist Dietmar Jazbinsek von dem Verband Lobbycontrol sagte, Lobbyismus und Einflussnahme sollten nicht verboten werden. Dass diese auf Politiker einwirken, begründet er damit, dassExpertisen und Fachleute die Politikerin ihrer Entscheidungsfindung unterstützen. Bei dem Beispiel der Automatenwirtschaft sehe der Lobbycontrolerdas anders. Die Gesetzeseinführungen im Jahr 2011 und 2012 brachten der Automatenlobby viel Arbeit ein und einige Klagen. Jazbinsekkritisierte die Techniken der Entscheidungsträger der Automatenwirtschaft, die sich mit einem „Kunstraseneffekt“als empörte Bürger an die Politiker im Sinne des Unternehmens wenden. Da das nicht von unten gewachsen ist wie Gras, nenne er das Kunstrasen. Als personelles Beispiel wies Jazbinsek auf den Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Bundestag Siegfried Kauder hin, der eine „fulminante Bewerbungsrede“ bei der Automatenmesse 2011 hielt und in der Folge von weiteren Aufgaben seines Wahlkreises befreit worden sein soll. Der habe jetzt Kapazitäten frei.

Die Offenlegungspflicht der Parteispendender Gauselmanngruppe seien nicht eingehalten worden. Die Spendensummen betrugen unter 10.000 Euro und fielen aus der Transparenzpflicht. Lobbycontrol fordere Offenlegungspflichten ab 2.000 Euro und nicht erst, wie verordnet, bis zu anderthalb Jahren später. Der Unternehmer Paul Gauselmann habe sich mit der Steuertechnikgerechtfertigt, er wollte mittels der Stückelungen Steuern sparen. Jazbinsekkritisiert die Inserate der Automatenwirtschaft in allen mandatierten Parteizeitungen, bemerkte aber nicht, dass die Werbekampagne branchenübergreifend war. Auch im Magazin der Journalisten des deutschen Journalistenverbandes erschien im Jahr 2011eine Werbebroschüre für über 50.000 Euro.

Beteiligungen an Parteifirmenseien eine weitere Form der versteckten Spenden, wie bei der FDP. Die Summen können höher ausfallenund lägen außerhalb der Spendenoffenlegungsverfahren. Eine Fernsehreportage bei ZDF Monitor zeigte diese Machenschaften auf, so Jazbinsek. An den Pranger stellteder Journalist auch Theo Weigel (CDU) und den designierten Kanzlerkandidatenzur Bundestagswahl 2013,Peer Steinbrück (SPD).Letzterer habe laut Dirk Lamprecht, zitierteDietmar Jazbinsek in seiner Rede, nur seine Standardreden gehalten. Jazbinsekkommentierte: ohne echte Arbeit bekomme der 15.000 Euro Stundenlohn. Jazbinsek kritisierte die Wahlkreisarbeiten der Abgeordneten in Unternehmerkreisen.

Auch bemängelte er die Kooperationsverträge der Automatenwirtschaft im Rahmen der Sozialkonzepte mit der Kirche, sowie die der Wirtschaftsverbände Info GmbH und dem Caritasverband für das Erzbistum Berlin. Aus Lobbycontrol-Sicht sollteauf solche Maßnahmen verzichtet werden. Er empfahl die Steuereinnahmen aus der Glücksspielbranche für soziale Stiftungen zu verwenden.

Die Asymmetrie in der Lobbyarbeit sieht Jazbinsek bei der Gauselmanngruppe: Nur finanzstarke Unternehmen können sich Anwälte für spezielle Gutachten leisten.

Die strategischen Allianzen der Tabakindustrie und des Gaststättenverbandes mit der Geldautomatenindustrie würden zur Korruption einladen. Wäre das Rauchen in den Räumlichkeiten nicht erlaubt „würde der Spieler“ sich bei Tageslicht draußen bewusst werden, was er tue. Vom Gastgewerbesterben wolle Jazbinseknichts wissen und verglich diese Befürchtung mit dem Satz: Komme mehr Hygiene in die Gaststätten, führe das auch zum Gaststättensterben. Jazbinsekschlug vor, die Nebeneinkünfte der Abgeordneten zu begrenzen.

Fags-Vorsitzende Ilona Füchtenschnieder sagte am Donnerstagnachmittag: „Auch die Sozialverbände“ sollten der Transparenzpflicht nachkommen. Sie könne sich vorstellen ein Internetfähiges Lernprogramm von einem Institut entwickeln zu lassen. Die Präventionsverbände wollten sich „nicht verbandeln“mit der Glücksspielindustrie, so Füchtenschnieder: „wir sind mit unseren Klienten verbandelt“. (F. Sylla, LÄ 18.12.2012, 20 h)