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Sechs(-plus)-Augengipfel

(Bild: archiv/sylla)

Meinung zum politischen Zeitbild

Berlin, 18./23./25.1.2010. Sich mit den Koalitionsspitzen alleine im Bundeskanzleramt zu treffen „ist etwas ganz Normales“. Das sind die Lieblingsworte des stellvertretenden Regierungssprechers Christoph Steegmans (FDP) in den vergangenen sechs Wochen gewesen. Seit Bekanntwerden eines Treffens der Parteivorsitzenden von CDU, CSU und FDP Ende des Jahres 2009 hätten die Medien „mehr Bedeutung in das Gespräch gelegt, als es ist“, sagte Steegmans am 18.1. in Berlin, einen Tag nach diesem Illusionen aussendenden Sechs-Augen-Gipfel im Bundeskanzleramt. Und tatsächlich sollen nur die CDU-, CSU- und FDP-Regierungsbeamten, sprich Guido Westerwelle, Kanzlerin Angela Merkel und Horst Seehofer, teilgenommen haben. Nicht einmal Regierungssprecher Ulrich Wilhelm, sagte am 22. Januar ein Journalist dem Demokratie Spiegel.

„Einmal im Monat“ wird es solche Gesprächsrunden geben, von denen die Presseleute „hohe Erwartungen haben und mich (Regierungssprecher Steegmans) danach fragen“. Er und die anderen Sprecher sollen erst nach dem rund zweistündigen Gespräch im Bundeskanzleramt mit Teilinformationen bestückt worden sein.

Kanzlerin Merkel erhält Arbeitsplätze. Im Zuge der Debatten und Interviews der vergangenen Wochen seit dem Ende der Koalitionsgespräche kamen viele Details zu Tage, die dem Unmut aus den eigenen Reihen und der Streitlust aller Raum verschafften, die meinten, etwas Wichtiges zu sagen zu haben. Der Ende Oktober 2009 verabschiedete und stets viel zitierte Koalitionsvertrag unter dem Titel „Wachstum, Bildung, Zusammenhalt“, der jedem im Internet zur Verfügung steht, hat diese Lücken gelassen. Führende Parteigenossen, Journalisten und Kommentatoren aus der Bürgerszene erwarteten Machtworte von der Kanzlerin.

Machtworte warf (sprach) Merkel aber erst, in erster Linie zu der bissiger gewordenen Opposition am 20.1.2010, bei der Haushaltsdebatte zum Kanzleretat zum Fraß vor. Die Bildzeitung zitierte dann gleich auf Seite zwei am 21. Januar: „Ich rede jetzt hier.“

Die gegensätzlichen, teils verhärteten oder ergänzenden Statements der Politiker der unterschiedlichen Regierungsfraktionen, führender Wirtschaftsverbände, der Kirchen zu den Personalbesetzungen oder den Inhalten des Koalitionsvertrages und den Konsequenzen zu den wichtigen Ressorts Finanzen, Gesundheit, Bundesagenturstruktur sind auch dank hartnäckiger Medienleute erörtert worden, überwiegend täglich.

Wirkliche Nachrichten brachte zuerst die Uneinigkeit beim Steuerstreit: Steuern runter, aber womit bezahlen? Die FDP gab am 17.1.2010 offiziell etwas nach, es reiche, wenn die Bundesregierung dieses Vorhaben statt 2011 erst 2012 umsetze. Viel zu recherchieren gab es auch zum Thema Kritik an der Kanzlerin, die allerdings bis zum Sechs-Augen-Treffen deutlich abebbte, was wohl stark dem Generalsekretär der CDU, Hermann Gröhe, dem Kanzleramtschef Roland Pofalla und dem Bundestagsfraktionschef Volker Kauder zu verdanken ist. Der Ministerpräsident von Niedersachsen, Christian Wulff, in dessen Landesvertretung die Koalitionsgespräche stattfanden, stand nicht ganz zu der neu gefundenen Rückendeckung der CDU-Parteivorsitzenden und Regierungschefin. Etwas mehr Teamarbeit fehlt ihm immer noch.

Zeitbild: CSU verliert
Horst Seehofer (CSU), der Ministerpräsident von Bayern und Parteivorsitzende der CSU, tat weder seiner Partei noch sich als Landeschef oder als Regierungskoalitionär im Bund einen Gefallen mit dem dümmlichen Anspruch, einen dritten Kanzler installieren zu wollen, um „die bundespolitischen Ansprüche“ der ehemals mächtigen Partei des Staates Bayern geltend zu machen.

Horst Seehofer vermied es bisher wohl öffentlich, dieses Begehren anders zu nennen als Ansprüche. Im Grunde kann die CSU froh sein, dass die traditionelle Höflichkeit waltet, sie nicht im Rahmen des demokratischen Wandels nur noch als das anzuerkennen, was sie faktisch ist: eine Partei eines Bundeslandes im föderalen Deutschland. An sich ohne Rechte, in der Regierung mit zu entscheiden, mit zu gestalten. Doch da gibt es eine Tradition, deren Ende zumindest absehbarer erscheint, selbst wenn qualifizierte Persönlichkeiten in der Bundesregierung mitarbeiten. Die CSU fuhr ihr schlechtestes Wahlergebnis 2009 ein. In allerletzter Konsequenz müssen sich die CSUler ganz in die CDU einschleichen, damit Bayern in der Regierung bleibt, wenn die CDU regiert.

Bis 2013 muss Ministerpräsident Horst Seehofer seine Partei reformiert haben und, wo immer es geht, neue Positionen im Dunstkreis der Regierungsmacht installieren. Die CSU schrumpft und eine bundesweite CSU gibt es (noch) nicht. Das ist auch schwer vorstellbar. Bayern ist nicht die ganze deutsche Mentalität, keine Volkspartei. Sehr alte Wählergruppen, beispielsweise aus den Kreisen der Vertriebenen, die sogar als Untergruppe OMV in der CDU-Partei etabliert sind, sterben der CSU einfach weg. Beim Bundesparteitag der OMV.CDU am 19. Dezember 2009 wurde festgestellt: Es wird weitergemacht, solange es gehe, aber es sei den Mitgliedern bewusst, es gebe zwar interessierte junge Leute, aber zu wenig, der politische Nachwuchs für den OMV.CDU bleibe aus.

Der dritte Kanzler. Zum Positionieren an der Regierungsspitze hätte Horst Seehofer gerne einen dritten Vizekanzler durchgesetzt, das klappte nicht. Dieser Anspruch wurde relativ kurz öffentlich debattiert, erreichte noch nicht einmal den ganzen Blätterwald und ist seit dem Sechs-Augen-Treffen vom Tisch. Dafür errang Seehofer aber ein paar andere Vorteile, die auch auf eine starke Kompromissfähigkeit der CDU-Vorsitzenden und Kanzlerin Merkel schließen lassen. Der Bayerische Ministerpräsident handelte noch in den Koalitionsgesprächen eine Sprecherin für die CSU-Interessen aus: Sabine Hombach soll dritte Regierungssprecherin werden und den kleinen Koalitionspartner insbesondere der Hauptstadtpresse gegenüber vertreten. Eines der stärkeren Signale im Hintergrund, ganz bewusst positioniert vom PR-bewussten Seehofer.

Kanzlerin Merkel hätte auch entgegnen können: Du, Horst, es geht nicht darum, dass ein Regierungssprecher oder eine Regierungssprecherin die Interessen deines Regierungskoalitionsdrittels nach außen oder gegenüber den Journalisten vertritt. Vielmehr sind der oder die Regierungssprecher/-in dazu da, eben gerade möglichst die Interessen der Bundesregierung zu vertreten oder am besten nichts zu sagen oder so unkonkret wie möglich zu sprechen.

Zeitbild: FDP regiert mit
Der amtierende FDP-Regierungssprecher Christian Steegmans war zuvor Pressesprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Er behielt Recht mit seiner Einstellung: Der mediale Riesenkrisengipfel aus dem Vorfeld war ein zweieinhalbstündiges Mini-Gipfelchen ohne öffentliche Stellungnahmen danach. Deutschlands wichtigste Politiker fuhren an den wichtigsten Journalisten vorbei, die wie üblich vor dem Kanzleramt oder am Nachrichtenticker warteten. Die Berichte danach von Seiten der Medien fielen unnormal spärlich aus.

Die Reise nach China von Vizekanzler und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) war da interessanter. Zwar verhielt er sich nicht anders als seine Vorgänger, auch sie nahmen gelegentlich ihre Lebenspartnerinnen mit auf Auslandstermine. Doch der Zufall wollte die schwule Lebensart in China ins mediale Bewusstsein rücken: Zeitgleich zu Westerwelles Besuch mit seinem Partner kamen die Konflikte zwischen der chinesischen Regierung und einer Gruppe junger Homosexueller an die Öffentlichkeit, die einen Schönheitswettbewerb für Männer organisierten. Homosexuelle werden von der chinesischen Regierung als Geisteskranke diskriminiert. Westerwelles Gefährte zahlte die Reisekosten selbst und trat als Weltbotschafter der Homosexuellen auf, schrieb eine Schweizer Online-Zeitung.


Zeitbild CDU: Ministerien schwächeln
Wolfgang Schäuble war vier Jahre Innenminister in der schwarz-roten Bundesregierung unter Angela Merkel. Als Innenminister arbeitete der heute 58-Jährige bereits in den Jahren 1989 bis 1991 während der sechzehn Jahre währenden CDU-Regierung unter Helmut Kohl. Was der Minister als Finanzminister heute, 20.1.2010, im Bundestag absolvieren musste, bestätigte die Ahnungen, die man als Journalist haben konnte, spätestens seit dem Konjunktur-/Wirtschaftsgipfel im Bundeskanzleramt am 16. Dezember 2009: Wolfgang Schäubles Blick blieb am Manuskript haften und vertraute Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. Zwar konnte der neue Finanzminister den Blick mit dem Regierungssprecher am 20. Januar bei der Vorstellung des Bundeshaushaltsplans 2010 nicht austauschen und die Augen bereits vermehrt vom geschriebenen Wort heben, doch diese Fachkompetenz, die der ausgebildete Diplom-Volkswirt Peer Steinbrück vier Jahre lang von 2005 bis 2009 unter Kanzlerin Merkel bewies, kann Wolfgang Schäuble nie erreichen. Er ist als Finanzminister nicht geeignet, selbst wenn er sich einarbeitet. Und die Einarbeitungszeit wird erschwert, am 22.1.2010 wurde bekannt, dass der fleißige Minister auf einige Tage zu einer Untersuchung ins Krankenhaus gehe. Das sei eine Routine, Wolfgang Schäuble ist querschnittsgelähmt und müsse sich checken lassen, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums. Eine gefundene Schwäche für die Feinde und seine politischen Gegner: Die Finanzpolitik Deutschlands kränkelt.

Der Koloss Sozial- und Außenministerium. Eine andere Fehlbesetzung scheint die ehemalige Familienministerin Ursula von der Leyen als jetzige Arbeits- und Sozialministerin zu sein. Am 20.1.2010 sprach die zierliche, siebenfache Mutter im Bundestag zur Haushaltsdebatte 2010. Wirkte sie als Familienministerin mit ihrem Amt und eigener Würde eins, so unecht und dünn kamen ihre Pläne in der Arbeits- und Sozialpolitik rüber. Wenn von der Leyen auch ihren Körper mit der alten Elastizität einsetzte und ästhetisch ihre Gedanken und Worte mit dem gleichen inneren Engagement vortrug, fehlte der ersten Rede der Arbeitsministerin der Funken, der einen die Hoffnung schöpfen ließe, ihre Vorstellungen verbesserten die Lage der Hartz-VI-Bezieher oder -Aufstocker.

Dafür kann von der Leyen nichts. Das liegt an dem Ressort, in dem mehr menschliche Dramen zu verwalten sind, als es das Verteidigungsministerium im Afghanistaneinsatz seit Einsatzbeginn für die Familien getöteter oder zurückgekehrter, traumatisierter Bundeswehrsoldaten tut. Und es wird noch mehr gelogen, denn tatsächlich sieht es schlechter aus, als es die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit immer hergeben.

Eine ganz dünne Familienministerin Kristina Köhler als hessische Nachrückerin für den geschassten Verteidigungs- bzw. Rekordkurzzeit-Arbeitsminister Franz-Josef Jung ist kaum vorstellbar in einem Mehrgenerationenhaus, beim Durchschneiden von Einweihungsbändern zu integrativen Altenheimen, Kindergärten, Jugendhäusern für Schwererziehbare. Warum? Weil es bei all den Einrichtungen um eines geht: um gelebte Lebenserfahrung, nicht um noch nicht gelebte.
Köhler ist aber so jung, dass sie sich einlernen könnte. Die Frage bleibt aber, wann ihr inneres Engagement beginnt, das von der Leyen von vornherein ins Familienministerium mitbrachte. Alte Hasen munkeln, Kanzlerin Merkel habe eine gute Wahl getroffen mit Kristina Köhler, da sie so unerfahren ist, dass sie die nächsten Jahre garantiert nichts anderes tun wird, als vom Blatt abzulesen.

Ist zu hoffen, dass sie das freundlicher tun wird, als vergangene Woche in Berlin geschehen. Nach kritischen Nachfragen der Hauptstadtkorrespondenten zur Nachwuchsministerin: Gibt es eigentlich das Familienministerium noch? Seit der Regierungsrochade „Minister Jung geht, Bundestagsabgeordnete Köhler kommt“ las, hörte und sah man so gut wie nichts vom Familienministerium. Beim Sender Phoenix erlebte der interessierte Zuschauer am nächsten Tag dann eine Kristina Köhler vor einer kobaltblauen Wand. Die Sendung wurde abgebrochen, die Pressemitteilung dazu ist auf der Internetseite des Familienministeriums zu finden.

Im Bundestag hat die flott aussehende Jungministerin am 20. Januar die Vorschläge aus dem Bundesfamilienministerium vorgestellt, genauso kühl und steif. Akribisch vorbereitet war sie und die Opposition zeigte sich gnädig. Immerhin muss die junge Dame sich ja erst einarbeiten in das große Amt als Familienministerin in Deutschland. Bleibt zu hoffen, dass Kristina Köhler, die im Februar den Parlamentarischen Staatsekretär im Bundesinnenministerium Ole Schröder (CDU) heiraten möchte, sich bald mehr für Themen des Ministeriums erwärmen wird als für die Projekte gegen Extremismus. Wenn das ein roter Faden sein kann, an dem sich die 32-jährige Köhler weiter zu den bereits vorgelegten Mehrgenerationenhausprojekten, alternativen, mehrsprachigen Begegnungs-stätten, Kindergärten bis zu den modernen Seniorenheimen durcharbeitet, dann könnte man ihr die Konzeptvorschläge zutrauen, alte und neue Familienmodelle politisch zu berücksichtigen, abzustimmen, um die Ziele zu erreichen: die alleinerziehenden Elternteile zu entlasten, die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit voranzutreiben oder die Weiterbildungsmaßnahmen für zeitweilig oder dauerhaft erwerbslose Eltern bei der Familienplanung so zu gestalten, dass die Erziehung der Nachkommen und die Pflege der älteren Familienmitglieder sanktionsfrei erfolgen darf.

Zeitbild Opposition:
Die SPD wurde seit 1998 immer mehr zur zweiten CDU, und wo zwei das Gleiche denken, ist einer zu viel. In der Opposition mit den größten Wahlverlusten in ihrer Geschichte zeigen die Spitzenleute Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel zwar ihre Kampfrethorik, verleugnen aber das wenige Gute, das die SPD in den vier Jahren als Regierungspartei mit der CDU/CSU selbst mit aufbot: einen Superfinanzminister. Und mit auf den Weg brachte die SPD eine Strategie für eine Integrationspolitik, die mehr als notwendig für eine friedliche Gesellschaft in Deutschland bleiben wird. In der Opposition raucht sich die SPD endgültig auf. Auch ohne Zigarren und Armanianzüge. Selbst die CDU sabotiert sich selbst weniger.

Zeitbild: Die Linke strebt den Regierungsposten an. Wenn Abgeordnete wie Dietmar Bartsch (Wirtschaftswissenschaftler), Roland Klaus (Ingenieurökonom), Axel Trost (Volkswirt) oder Katja Kipping (Literaturwissenschaftlerin), um nur einige Persönlichkeiten zu nennen, sich so weiterentwickeln, wie sie es seit Beginn des Jahres 2010 zeigen, und ihre Kollegen sie stärken, stellt die Partei Die Linke für 2013 ihren ersten, interessanten Wirtschafts- und Sozialplan vor, der auf der Realität und nicht auf ideologischer Ausrichtung baut.

Zeitbild Grüne/Bündnis 90: die 68er-Friedensaktivisten im Anzug, im Kostüm und mit Regierungserfahrung. Die machen alles so weiter wie bisher, stimmen für oder gegen den Krieg, je nach Stoßrichtung. Sehr flexibel, sehr intelligent, sehr widersprüchlich. Die Ökopartei, die dicke Autos fährt.

Zeitbild: Piratenpartei: die kleine Partei mit den größten Chancen zur Parlamentspartei ab 2013. Vorausgesetzt, die anderen Mandats-Parteien nehmen ihnen nicht die Themen Internetsucht, Singleleben und Online-Anarchie aus den Segeln. (fs) (korrigiert: mt, 25.12010, 1815h)