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Dolchstoß - Fontanes zweiter Fall

Das Cover zum Buch

von FRank Goyke: Scheegestöber.


Ein erfolgreiches Ermittlerduo geht in Serie. Frank Goyke schickt in seinem Berlin-Krimi „Schneegestöber“ erneut Theodor Fontane und Kommissar Aschinger auf die Spur: diesmal zur Aufklärung des Mordfalls von Stepanitz.

von Monika Thees

Berlin, Februar 1874. Seit zwei Monaten schneit es fast ohne Unterlass und die halbe Stadt liegt mit Schnupfen oder Influenza im Bett. Abends gegen acht verlassen Theodor Fontane und Ehefrau Emilie die Soiree im Hause Wangenheim und begeben sich auf den Heimweg. Doch plötzlich erstarrt Fontane, Emilie schreit leise auf, er krächzt erschrocken „Dort!“. Zu Füßen einer Gaslaterne liegt ein Mensch in schwarzem Abendanzug, lang ausgestreckt auf dem Trottoir, das Gesicht halb versunken im Schnee. Sein Körper bewegt sich nicht, er liegt regungslos. Um ihn färbt sich der Schnee dunkel, rot, es ist Blut, der Mann ist tot.

Nein, hier ist Fontane über keine Leiche gestolpert wie in „Altweibersommer“, seinem ersten Fall. Doch auch in „Schneegestöber“ trifft der umtriebige Amateur-Ermittler auf seinen Gegenpart Aschinger, Kommissarius der Kgl. Preuß. Polizei, diesmal witterungsbedingt stark verschnupft. Natürlich kann es Fontane wieder nicht lassen, sich in die kriminalistischen Ermittlungen einzuschalten, so ganz gegen den Willen der preußischen Obrigkeit. Aber die ist, wie könnte es anders sein, zwar offiziell zur Täteraufgreifung befugt, doch recht erfolg- und fantasielos bei der Aufklärung dieses ungewöhnlichen Falls: Der Tote unter der Gaslaterne heißt Johann Friedrich von Stepanitz, ist weitläufig verwandt mit den Wangenheims. Er wurde auf dem Weg zu besagter Soiree erstochen, die Tatwaffe findet sich nicht, auch keine Spur des Täters.

Fans von Frank Goyke werden jubeln. Denn der gebürtige Rostocker ist ein Meister des historischen Krimis, seine Hanse-Krimis waren erfolgreich, für „Dummer Junge, toter Junge“ erhielt er 1996 den „Marlowe“ der Raymond-Chandler-Gesellschaft. Goyke, der Theaterwissenschaften studierte und als Lektor und Dramaturg arbeitete, verwebt geschickt real existierende und fiktive Figuren, er paart Berliner Lokalkolorit und politische Geschichte mit einem spannenden (Doppel-)Mordfall. Jubeln werden auch Fontane-Liebhaber. Der reale Theodor F. war einer causa criminalis bekanntlich nicht abgeneigt. „Ellernklipp“ (1881) und „Unterm Birnbaum“ (1983-85) sind Kriminalgeschichten, auch „Grete Minde“ (1879) und „Quitt“ (1890) lassen sich unter dieses Genre subsumieren.

Jetzt also der mysteriöse Tod des jungen Rittmeisters a. D., Abkömmling des neumärkischen Zuckerrübengutbesitzers G. A. von Stepanitz, tätig im Kgl. Preuß. Statistischen Bureau, hochverschuldet, ledig. Aschinger hat keine Spur, keine Vermutung, nichts. Er tappt im Dunklen. Aber da gibt es die „delikate Correspondenz“ einer Frau, mit rotem Seidenband verschnürt und nebst Schuldscheinen und längst fälligen Wechseln in von Stepanitz’ luxuriöser Wohnung gefunden: Liebesbriefe auf japanischen Reispapier, anonym verfasst und schön säuberlich geschrieben in kalligrafischen Schnörkeln. Eine affaire d’amour mit tödlichem Ausgang? Mord aus Eifersucht, beleidigter Ehre? Oder die Rachetat eines unnachgiebigen Gläubigers, dem die Nerven durchbrannten?

Wir befinden uns mitten in der Gründerkrise, es kracht – und politisch kocht es hoch. Bismarck rüstet zum Kulturkampf, gegen die katholische Kirche und die Zentrumspartei. Der Bruder des Ermordeten, Rudolf von Stepanitz, seines Zeichens Pamphletist und glühender Vatikanverehrer, schreibt für ultramontane Blätter und hat mehrere Beleidigungsklagen des eisernen Kanzlers am Hals. Katharina, das Dienstmädchen der erstochenen Rittmeisters, weiß von keiner Liaison ihres Arbeitgebers, berichtet aber von einem mysteriösen, distinguiert auftretenden Engländer, der mit von Stepanitz hinter verschlossenen Türen disputierte. Fontane lässt seine Arbeit an „Allerlei Glück“ und „Die Grafschaft Ruppin“ ruhen, die Neugierde, die déformation professionelle, eine Berufskrankheit, hat ihn gepackt, er ermittelt auf eigene Faust.

Frank Goyke legt einsichtige Fährten, die dann ins Leere verlaufen, er führt Aschinger auf die falsche Spur und Fontane auf das neumärkische Zuckerrübengut des G. A. von Stepanitz, zu Luther & Wegner am Gendarmenmarkt, in die Vorzimmer und Salons diverser Honoratioren und Adliger. Berlin kurz nach der Reichsgründung, Preußen in Zeiten des Kulturkampfs, ostelbische Junker, Delikatessenhändler im piekfeinen Tiergartenviertel und berlinische Zimmerwirte, Goykes Figuren sind plastisch, seine Dialoge flott, herzhaft und nicht ohne Ironie, die familiäre Situation im Hause Fontane ist wie immer angespannt, das Duo Aschinger-Fontane ein Paar, das sich beharkt und zusammenrauft. Die Handlung wird geschickt parallel geführt, die Politische Polizei eingeschaltet, ein Verdächtiger inhaftiert, der Mordfall steht kurz vor der Aufklärung – bis auch den Schreiberling Rudolf von Stepanitz das Schicksal seines Bruders ereilt: Man findet ihn eines Abends erdolcht vor seiner Wohnung am Rande des Tiergartens, wieder keine Waffe, keine Zeugen, keine Spur.

Frank Goyke hat Lob verdient: Sein Plot ist gut recherchiert, die Figuren und Szenen sind glaubwürdig, die Handlung ist zügig und ohne Längen erzählt. Atmosphärisch dicht erfasst „Schneegestöber“ Zeit, Details und Ambiente des Jahres 1874, das Fiktionale fügt sich ein in das Gerüst historischer Realien und erreicht überzeugende Dichte. Wer als Leser das Spiel zwischen diesen beiden Ebenen mag, ein wenig Vorwissen mitbringt zu Zeitgeschehen und Fontanes Leben und Werk, wird reich belohnt bei diesem Krimi, der weniger auf Blut und Action setzt, als vielmehr auf kleine Nuancen, auf Psychologie und Plausibilität. Der Fall Stepanitz ist zwar erdacht, aber nicht weit entfernt von historischer Wirklichkeit. Da wird Fontane noch aufschrecken: angesichts einer Zeitungsmeldung, etwas später im Juli 1874. Doch wieso? Und warum? Hier wird nichts verraten, nur ein intelligent wie unterhaltsam geschriebener Krimi empfohlen – für lange Abende daheim, bei winterlichem Schneegestöber vor der Tür.

GOYKE, FRANK: Schneegestöber. Theodor Fontane und der Brudermord. be.bra Verlag, Berlin 2009. 270 S., 9,95 Euro.

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Zuerst erschienen in: » Berliner Literaturkritik

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