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Andreas Altmann erzählt Geschichten von unterwegs

http://www.andreas- altmann.com/


Wilde Abenteuer

Von: MONIKA THEES - © Die Berliner Literaturkritik, 14.07.09

Er streunt durch die Welt und sammelt Geschichten: Fünf Kontinente hat er bereist, über hundert Artikel geschrieben für GEO, Focus, den Stern und die ZEIT, zwölf Bücher veröffentlicht, die letzten: „Reise durch einen einsamen Kontinent“ (2007), „Im Land der Regenbogenschlange“ (2008) und jetzt „Sucht nach Leben. Geschichten von unterwegs“. Andreas Altmann, der Travelwriter, der „unentwegt Bewegte“, der rastlose Glücks- und Daseinssucher, hat 60 Storys in zehn Kapiteln zusammengestellt, ein „Best of“ aus wilden Jahren, abenteuerliche Episoden, literarische Fundstücke zwischen Feature, Reportage und Short Story – Geschichten, die den Leser anspringen, die unter die Haut gehen, sich einbrennen ins Hirn.

Wie die von Popy und Asma („Zwei einsame Frauen“) im Medical College Hospital, Dhaka, zwei jungen Frauen, die säure-attackiert von abgewiesenen „Verehrern“, still dasitzen mit verätztem Gesicht, während Vögel zwitschern, Kinderlachen ertönt, über die Mauer des Hofes herüberdringt in die unendliche Stille des Leids, des unsäglichen Unglücks. Oder die des Sackgassen-Puffs in Saigon („Andere Länder, anderer Sex“), wo sich ihm, dem umtriebigen Reporter, dem „tough guy“ per Profession, der harte, ja härteste Strich vor die Augen drängt – auf Plastikfolien im Rohbau aus Beton, auf zwei Quadratmetern pro Paar, in einem Raum ohne Möbel, ohne Laute des Ekels oder der Lust. Zwei unfassliche Szenen, die Andreas Altmann aufnimmt und in Sätze formt, auf dass er (und der Leser) sie ertragen kann, verarbeiten irgendwie. Sie markieren die scharf gesetzte Grenze, auch für ihn, der sie sonst so gerne durchbricht, mit vollem Einsatz, mit Haut und Haar.

Er geht zuweilen aufs Ganze, ja. Achtzehn Tage lebte er als Junkie in East New York („Das Crackhouse“), als argloser deutscher „Philosophie-Professor“ mit unstillbarem Drang zu schwerelosem Traum. Er rauchte die Pfeife, war einer unter ihnen, den Crackheads, Dealern und heillos Abhängigen, die den Tag verdösen, vertrödeln, sprach mit zerstört-verwirrten Frauen, die „welfare money“ beziehen und anschaffen gehen für das nächste High. Er saß bei „Tiger“, dem Chef, einem Bully, Schläger, Messerstecher, und hörte ihm zu, erlebte das Schrillen und Krachen, wenn der „cold turkey“ einsetzte bei den Stammkunden im Sperrmüll-Wohnzimmer von 70 qm, die entfesselte Wörterschlacht („You motherfucker-undercover-crackhead“) begann und das Rumfuchteln mit Waffen, so „just for fun“.

Es war nicht so zum Spaß, was ihn umhertrieb in der Welt des Abseitigen, Extremen, Kranken. Die Crackhouse-(Selbst)Erfahrung war Teil eines Deals, eines Auftrags für ein Magazin, abgesprochen, berechenbar und ohne Langfristfolgen für den furchtlosen Helden mit ach so großem Opfermut. Sicher, Andreas Altmann hat sich Blessuren geholt unterwegs auf seinen Reisen, so manche Narbe, gebrochene Rippen mehrmals. Das nährt das begehrte Klischee vom verwegenen „sunny boy“ am Strand von Mombasa, mit Laptop und Zigarillo, braun gebrannt das Gesicht, die blonden Haare zerzaust vom Wind, und zeigt doch nur die eine Seite, genau wie die oben zitierten drei „shocking stories“, die wilden Geschichten aus bewegter Zeit, die geschrieben sind mit dem „Presslufthammer“, als Attacke, als Anschlag, der uns, den Leser, aufstören soll, anpeitschen zur Empörung ob des Irrsinns dieses Planeten.

Die andere Seite (und fast die Hälfte der Geschichten) ist verhaltener, sie handelt von Momenten des Glücks, der Schönheit, vom Hier und Heute, von Niederlagen und Irritationen, von den Wegen, Umwegen zum Ziel und den Menschen, die ihm begegnet sind. Es sind Episoden aus dem Alltag, in Schwarzafrika, im Maghreb, in Thailand, immer wieder Indien, auch Paris, wo er lebt und sich ins Café setzt, „wo ich hocken kann und schauen und keiner wirft mich hinaus!“. Kurze, knappe Erzählungen, mit Verve geschrieben, mit Witz und Selbstironie: In „Elegant reisen“ legt er sich einen Anzug zu, einen Zweireiher mit meisterlichen Nähten, in „Wellness für Doofe“ kurt unser Held im schönen Bad G., in „Nachrichten aus der Bimbowelt“ kommentiert er ein Interview mit David Beckham (über neue Unterhosen von Armani) und ereifert sich über die fortschreitende Verblödung der Welt.

Andreas Altmann geißelt vergnüglich den Nichtraucherwahn, er lädt eine Geisha zum Dinner, spielt den reuigen Sünder bei einem US-amerikanischen TV-Prediger, konsultiert nicht einen, sondern gleich drei „Sex-Specialists“ in Old Delhi, ausgemachte Quacksalber, Schlitzohren, denen er als vorgeblicher Andrew Lightfoot aus New Jersey die Hucke volllügt wie diese ihm. Er schmeißt den Fernseher auf den Müll, brüllt auf Englisch durch den Speisesaal des Hotels Ukraina, Moskau, damals noch zu Zeiten der Sowjetunion, und erntet wider Erwarten kraftvoll Applaus. Jede Geschichte ein Treffer, gefeilt und geschliffen mit Sprache, dem geeigneten Instrument, gehandhabt „als Giftschleuder gegen alles, was verwundete, als Rettungsboot, Trostpflaster, Tarnkappe und fliegender Teppich“ und mehr.

Andreas Altmann ist ein betörender Fabulierer, ein begnadeter Storyteller, dem man gebannt zuhört und lauscht. Er schreibe zuallererst für sich, so bekennt er, „um die eigenen Hohlheiten, Übel und Feigheiten zu entdecken, ja auszuhalten und zu überwinden“, doch das meint nur die halbe Wahrheit, der Leser soll mitgehen, stand- und gegenhalten, er sei Begleiter, Komplize, ein Leidens- und Glücksgefährte. Ohne diesen Pakt funktioniert es nicht, kann dieser Deal nicht gelingen. Man muss den radikal subjektiven Stil Altmanns mögen, sich einlassen auf seine Sicht, sich ankicken lassen von der Sehnsucht, dem Hunger nach Intensität, nach Leben. Man kann seine Geschichten genüsslich goutieren, bequem im Sessel sitzend bei einem Glas Wein und Chips. Gleichwohl: Ein wenig mehr Feuer in den Adern täte wohl gut, uns, die wir uns, wenn überhaupt, nur mit griffbereiter Handbremse fortbewegen, mit Airbag und sicherem Bausparvertrag.

All denen, die träge durch den Alltag gleiten, hält er entgegen: „Wer sich traut, geht drauflos: Er lebt. Wer nicht, fährt mit Bleifuß vorbei: Er ist schon satt.“ Ach, lass die Satten schlafen, möchte man ihm zurufen. Ja, hallo Welt, mich hält die Neugier wach, ich habe gelitten und war schlaflos, ich habe verloren und gewonnen, und ich habe da eine Geschichte, und die geht so ...

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