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Maeve Brennan: New Yorker Geschichten

Die irisch-amerikanische Schriftstellerin Maeve Brennan spiegelt im Blick der Dienstmädchen New Yorks bessere Kreise.


Die irisch-amerikanische Schriftstellerin Maeve Brennan spiegelt im Blick der Dienstmädchen New Yorks bessere Kreise. Die mit spitzer Zunge geschriebenen Episoden aus den Jahren 1952 bis 1967 entlarven eitle Gewissheiten und falsche Töne.

Von Monika Thees, 18.7.2010

Der Blick aus der Spülküche offenbart kaum Schmeichelndes. Hinter den Vorhang gedrängt beobachten Birdie und Agnes die drei auf der abschüssigen Rasenfläche vor dem Haus: Mr und Mrs Harkey, er Kreditmanager beim Billigkaufhaus Clancyhangers’s, sie mit romantischer Attitüde, „obwohl sie kein hübsches Gesicht vorzuweisen hatte“, begleiten ihren Gast, Mr Charles Runyon, seines Zeichens Theaterkritiker und Feingeist, zur abendlichen Aussicht auf den Fluss. Hier in Herbert’s Retreat, der komfortablen Wohnanlage am Ostufer des Hudson River, drängt es alle zur Aussicht, ohne Rücksicht auf widrige Hecken und Barrikaden aus Bäumen. Sie schielen auf den Fluss, mit dem Cocktailglas in der Hand, ein wenig Smalltalk auf den Lippen und kalter Berechnung im Herzen.

Leona Harkey hat ihr Ziel erreicht. Ihr erster Mann „war sturzbetrunken und ist gegen einen Baum gefahren. Hat den Baum kaputt gefahren und ist selbst dabei ums Leben gekommen. Sie musste sich einen neuen Wagen anschaffen“, kommentiert Birdie lapidar und tratscht munter weiter. Der brave George sei Leonas zweite Wahl, ein armer Kerl, der im Kaufhaus Kredite beackert und nun mit ansehen darf, wie Mrs Harkey ihren verehrten Charles einlädt zu wohllebigen Weekends am Fluss. Ein Techtelmechtel am Ufer des Hudson, zarte Bande zwischen der dollarschweren Mrs. George Harkey und ihrem privilegierten Gast? Nun ja, wispert Birdie naseweis, sie sei in Mr. Runyons Verstand verliebt, er sagte ihr einmal, „sie hätte ein Gesicht, das der Ewigkeit gehört“.

Maeve Brennans „Der Blick aus der Küche“ eröffnet fulminant den Erzählband „Tanz der Dienstmädchen“. Er verbindet zehn Episoden aus den Jahren 1952 bis 1967, allesamt erstveröffentlicht im legendären „The New Yorker“. Für das, so der Ruf, „intellektuellstes Stadtmagazin der Welt“, schrieben literarische Größen wie Truman Capote, Raymond Carver, John Cheever - und die irisch-amerikanische Schriftstellerin und Star-Kolumnistin Maeve Brennan. Die im Göttinger Steidl Verlag erschienenen und von Hans-Christian Oeser meisterlich übersetzten Short Stories entstammen dem postum zusammengestellten Prosaband „The Rose Garden“ (2000) und wurden in der chronologischen Reihenfolge der in ihnen dargestellten Episoden neu geordnet.

Maeve Brennan, 1917 in Dublin geboren, seit 1934 in New York lebend (ihr Vater war der erste Botschafter der irischen Republik in den Vereinigten Staaten) war eine kühl-herbe Schönheit, mit hochgestecktem Haar, stets „up to date“ gekleidet in Seidenbluse und Kostüm. Nach der Eheschließung mit dem Chefredakteur St. Clair McKelway zog sie für einige Jahre ins noble Sneden’s Landing, heute bekannt unter dem Namen Palisades und Wohnort von Al Pacino, Björk und anderen celebrities des Showbiz. Brennans damalige Nachbarn, etwas anders gestrickt als die heutige Noblesse, aber nicht minder eigenartig, lieferten, so ist zu vermuten, die Vorbilder für Leona Harkey, Charles Runyon und ihre entschlossenen Gegenspieler, die irischen Dienstmädchen namens Birdie, Agnes und Co.

In den Augen der geschwätzigen, zuweilen neidisch bis boshaft hinter den Türen lugenden Hausmädchen spiegelt Maeve Brennan ihren Blick auf das höchst wunderliche Treiben in den Villen von Herbert’s Retreat. Zum Beispiel im weiß gestrichenen Ziegelsteinhaus (achtzehntes Jahrhundert!) von Tom und Liza Frye („Der Anachronismus“): Sie fahren Jaguar im Partnerlook (Liza einen weißen, Tom einen schwarzen), rauchen eigens angefertigte Zigaretten auf kurzer, goldener Spitze und schlafen nachts in zueinander passenden Pyjamas in Weiß. Liza liebt das Wort „makellos“, tagsüber isst sie nichts, abends nippt sie am Hüttenkäse mit geriebenen Möhren und lässt, wie passend zum in exklusiver Gesellschaft begangenen siebten Hochzeitstag, die Hausperle Miss Betty Trim aus dem Londoner White’s Hotel über den Atlantik schiffen. Doch Liza Frye kennt Betty (noch) nicht ...

Maeve Brennan seziert Beziehungsgeflechte und Abhängigkeiten, sie legt menschliche Schwächen und Unarten bloß und die unter schillernder Lackschicht aufscheinende Einsamkeit frei. Es geht vordergründig um Macht, ums Geld, um den kleinen, entscheidenden Vorsprung an Geschmack und Lebensart. Dahinter lauert das unsägliche Elend. Wer aus dem Spiel fällt, hat verloren. Derweilen fließt der Martini in Strömen, die Schadenfreude grinst höhnisch und doch behält, zumindest für den Leser, das (literarische) Vergnügen die Oberhand. Brennan liefert geschliffene Szenen, pointiert herausgearbeitet, treffend und elegant in Sprache und Form gesetzt. Nach dem Erzählband „Der Morgen nach dem großen Feuer“, der 2009 bei Steidl erschien, ist „Tanz der Dienstmädchen“ ihr bislang fünfter Prosaband in deutscher Sprache.

Das oberflächlich Amüsante der Geschichten mag täuschen. Die nadelfeine Feder der Maeve Brennan schneidet schmerzhaft ins Fleisch des „Big Apple“. Das Leben in Herbert’s Retreat ist keine Sommerfrische mit Komfort und idyllischer Aussicht auf den Fluss. Es lohnt, zweimal hinzuschauen auf den Glamour, den funkelnden Glimmer, übrigens auch bei einer Starautorin von Rang. Sie habe eine Zunge „so scharf wie eine Heckenschere“, liest man oft. Dass ihre Ehe mit St. Clair McKelway nicht hielt und sie selbst aus dem Kreis der Schönen und Erfolgreichen ins Bodenlose fiel, wissen wenige. Maeve Brennan starb nach mehreren Schizophrenieschüben, wiederholten Psychiatrieaufenthalten und zeitweiliger Obdachlosigkeit verarmt und krank im Jahr 1993. Erst Ende der 1990er Jahre begann die Wiederentdeckung einer (fast) vergessenen Autorin der Welt-Spitzenklasse.

Literaturangaben:

Maeve Brennan: Tanz der Dienstmädchen. New Yorker Geschichten. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 2010. 232 S., 18 Euro.

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