Stand des Moratoriums in der Atompolitik

Rainer Brüderle und Norbert Röttgen
(Foto: © Friedhelm Schulz/ Friedrichson Pressebild)

Röttgen, Kanzlerin Merkel, Brüderle
nach dem Gespräch zum Stand des Atom-Moratoriums am 22.3.2011. (Foto: © Friedhelm Schulz/ Friedrichson Pressebild)
Berlin, 22./24.3.2011. Im Bundeskanzleramt trafen sich zum zweiten Gespräch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Bundesländer, die Atommeiler haben. Das sind Horst Seehofer (CSU), Ministerpräsident von Bayern und Gesundheitsminister in der Merkel-I-Regierung, Uwe Carstensen (CDU), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Stefan Mappus (CDU), Volker Bouffier, der hessische Ministerpräsident nach Roland Koch, sowie David McAllister, Nachfolgender Ministerpräsident von Christian Wulff, der nach dem Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler im Jahr 2009, das Amt antrat (alle CDU).
Im Gespräch im Kanzleramt am Dienstag, 22.3.2011, in Berlin, waren wieder mit dabei Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sowie Norbert Röttgen (CDU), der zuständige Bundesminister für Umwelt und Reaktorsicherheit. Und einige Mitarbeiter im Bundeskanzleramt und aus den Bundesministerien.
Diskutiert worden sei vor allem die Sicherheitsfrage der Reaktoren in Deutschland vor dem Hintergrund der Defekte, die die Japanischen Kernkraftwerke in der Stadt Fukushima nach der Naturkatastrophe auslösten.
Der Stand zur Nutzung der Kernenergie in Deutschland. Seit Montag, dem 15.3.2011, ist es in Kraft, das Moratorium in der deutschen Atompolitik. Als Konsequenz „einer neuen Lage“ beurteilten die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) ihre schnelle Entscheidung nach der Naturkatastrophe in Japan. Die hatte zur Folge, was angeblich wissenschaftlich eigentlich für unmögliche erachtet wurde, nämlich der Austritt von Radioaktiver Energie, wenn Atommeiler teilweise oder ganz zerstört werden.
Und dann ist auch noch Wahljahr in Deutschland. Laut Umfragen seien 80 Prozent der Bevölkerung gegen die Weiternutzung von Atomstrom. Die Bundesregierung seit 2009 mit CDU, CSU und FDP, hatte es mit Biegen und Brechen erst im Herbst 2010 geschafft, den Deal um den Atomstrom um eine längere Laufzeit deutscher Atommeilern um durchschnittlich 12 Jahre zu verlängern. Nicht mal sechs Monate später stellt die Bundesregierung die neue Hierarchie vor: Im Zweifel für die Sicherheit.
Beim zweiten Treffen mit den fünf CDU/CSU-Ministerpräsidenten der Länder mit Atommeilern war das Hauptthema, wie die Durchführungen des Moratoriums klar aussehen. Inzwischen sind die sieben alten Atommeiler, gebaut vor 1980, vom Netz genommen worden. Mittlerweile heißt es in den Nachrichtentickern, der eine Reaktor in Fukushima gebe nach einem Unfall Radioaktive Energie in die Atmosphäre frei.
Nach dem ersten Treffen hieß es von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), auf der Tagesordnung sollte auch die Frage nach dem Lager für Atommüll stehen. Der Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag, 21.3., in Berlin, es stünden nur die Durchführungsbestimmungen und die Vorschläge auf der Tagesordnung, wie schneller die erneuerbaren Energien gezogen werden könnten. Wie sieht der Ausbau von logistischen Stromnetzen in den einzelnen Bundesländern aus? Das sei das Hauptanliegen.
An diesem Dienstagmittag um 12.45 Uhr traten nur Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor die geladene Hauptstadtpresse. Angela Merkel fasste das Ergebnis des Tagesordnungspunktes als Frage zusammen: „Wie erreichen wir das Zeitalter der erneuerbaren Energien schneller?“
Kanzlerin Merkel sagte, am 15. April 2011 lade sie alle Ministerpräsidenten dazu ein, die Probleme beim Stromnetzausbau und die Energieeffizienz zu besprechen, diese Themen seien Thema aller Bundesländer und waren heute nicht Tagesordnungspunkt.
Heute ging es überwiegend um die Beantwortung der Vorgehensweise, wie die Sicherheit der Atmostromnutzung gewährleistet werden könne. Auch, welche ausländischen Kernkraftwerke genutzt werden könnten.
Was lernen wir in Deutschland aus diesen Japan Ereignissen? Es gebe die nationale Dimension, die Konsequenz des Moratoriums in der internationalen Dimension und es gebe die europäische Dimension.
Die internationale Atombehörde sagte, die Sicherheitsstandards werden weltweit noch mal vorgenommen, teilte der Wirtschaftsminister den Journalisten mit. Der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg und jetzige EU-Kommissar für Energie, Günter Öttinger (CDU) wird am Freitag angehört, welche Ergebnisse seine Gespräche in Brüssel ergaben.
Dem Bundesumweltministerium ist die Reaktorsicherheitskommission zugeordnet. Diese Kommission wird neue Fragen beantworten müssen. Neue Prüfaufgaben, die sich aus Japan Krise ergeben. Kummulativer Ereignisse, Zivilisatorische Ereignisse, Computerangriffe auf die Reaktorsoftware. Die neuen Fragen sollen dann mit den anderen Ministerpräsidenten besprochen werden.
Klar sei der Bundesregierung, es gehe um technische Probleme. Es komme die gesellschaftliche Komponente dazu. Einen zweite Kommission, eine Ethikkommission wird die Risiken bewerten, einerseits der Sicherheit, aber auch mit der Schlüssigkeit, wie kann die Bundesregierung den Übergang praktikabel gestalten, wie sieht es mit Importen aus?
Zweite Kommission, die Ethikkommission. Zwei Persönlichkeiten hob Kanzlerin Merkel als besonders geeignet hervor, der Atom-Ethik-Kommission zu leiten: Bundesumweltminister a.D. Klaus Töpfer als erster Vorstand und Ingenieur Matthias Kleiner, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der den wissenschaftlichen Aspekt zu begutachten habe. In die Ethik-Kommission von der Bundesregierung sind ferner berufen: Vertreter aus Kirche, ehemalige Politiker sowie Vertreter der nachhaltigen Entwicklung, aus der Philosophie. Den Bereich Risikoforschung vertrete Ulrich Beck, Professor für Soziologie, „Herr von Dohnanyi, Herr Ulrich Fischer, Landesbischof der Badischen Landeskirche, Alois Glück vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, Jürgen Hambrecht, der Vorstandsvorsitzende der BASF, der bald aus diesem operativen Amt ausscheiden wird, Walter Hirche, Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission und Mitglied im Rat für nachhaltige Entwicklung, Herr Professor Reinhard Hüttl, der Präsident der acatech, Frau Professor Weyma Lübbe, Lehrstuhl für praktische Philosophie an der Universität Regensburg, Herr Reinhard Kardinal Marx, der Erzbischof von München, Frau Professor Lucia Reisch, Mitglied im Rat für nachhaltige Entwicklung, Frau Professor Schreurs, Leiterin des Forschungszentrums für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin, und Herr Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE. Es kann sein, dass noch ein bis zwei oder drei Namen dazukommen, aber das ist erst einmal diese Kommission“, teilte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Journalisten mit.
Alle Ministerpräsidenten, in deren Bundesländern Atommeiler stehen, haben sich in den Gesprächen verantwortlich und Umsetzungsbereit erklärt, sagte Bundeskanzlerin Merkel.
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sehe es als Pflicht, die Konsequenzen aus Japan für die Deutsche Atompolitik umzusetzen. Neu zu bewerten seien die Fragen der Notstromversorgung, der Kühlung. Man müsse sich neu die Frage stellen: Wie verhindere man Unfälle, die zu Kernverbrennungen führen, wenn ein Reaktor von außen beschädigt werde?
Sicherheit beruhe, so Röttgen, auch auf Annahmen: „Können nicht auch in Deutschland zwei Ereignisse der Natur gleichzeitig geschehen? Hochwasser und Explosionen?“ Der Sicherheitsbegriff selbst werde in Frage gestellt, sagte der Umweltminister und die Prämissen müssten neu gesetzt werden. Die Ethikkommission bewertet er als eine Erwartung aus der Bevölkerung, die Atomstromnutzung politisch neu zu justieren.
Der Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), erneuerte das Zwischenziel der Regierungskoalition, die Kernkraftwerksenergie „ist eine Brückentechnologie“. Die Energiefragen, der Netzausbau müsse dreispurig gefahren werden.
Eckpunktepapier für ein Netzstromausbaugesetz, den Flickenteppich abschaffen. Brüderle weiter: Wie nach der Wiedervereinigung. Er wolle die Bevölkerung und die NGOs einbeziehen, für Akzeptanz müsse die Bundesregierung werben.
Zu den Gas- und Kohlkraftwerken sagte Brüderle, es erfolge eine Kraftstoffstrategie. Gestern traf Rainer Brüderle mit den anderen Ländervertretern der Europäischen Union zusammen, in denen Atomstrom produziert wird. 145 Atommeiler soll es in Europa geben. Europa werde mit einbezogen bei den Sicherheitsüberprüfungen.
Das kerntechnische Regelwerk war schon unter seinem Vorgänger Umweltminister a.D. Sigmar Gabriel (SPD) entstanden, sagte Norbert Röttgen auf Anfrage. Die Erprobung erfolgte bereits. Röttgen beurteilte dieses Gesetzesvorhaben als nicht mehr aktuell. Es müsse neu überarbeitet werden nach der neuen Lage. Der gesellschaftliche Konsens ist noch nicht gefunden, sagte Angela Merkel auf Anfrage. Daher habe sie neben der technischen Kommission eine Ethikkommission einberufen. Die Gruppe ist schon unterschiedlich zusammen gesetzt, sie reflektieren ein gewisses Spektrum, aber da fehlen ja noch umfassendere Meinungsbildungen von den Gewerkschaften, Umweltverbänden.
Das Endsorgungsthema ist noch nicht abschließend beantwortet, die Erkundungen in Gorleben laufen noch, das Atommülllager Asse sei ein „elementares Problem, das ist da schon erkennbar“, sagte Merkel, die unter Helmut Kohl auch mal Umweltministerin war. Die Beantwortung dieser Fragen, auch denen nach den Zwischenlagern, stand nicht im Fokus der heutigen Gespräche. Die Bewertungen nach den Kommissionen werden dann zu gesetzgeberischen Maßnahmen kommen, ist sich Kanzlerin Merkel sicher.
„Die politischen Schlussfolgerung nimmt uns keiner ab“, aber sie erfolgten „transparent und auf einer breiteren Grundlage“.
Laufzeiten. Auf die Fragen nach den längeren Atomlaufzeiten und ob Merkel die Vertreter der Energieindustrie an den runden Tisch mit den Vertretern der erneuerbaren Energieunternehmen und den Bürgern bringen wird, sagte sie: „Die Energiewirtschaft ist nicht der Partner für Fragen“ nach dem gesellschaftlichen Konsens. „Die Überprüfungen können auch Einfluss auf die Laufzeiten haben“.
Röttgen sagte zum Thema Asse, er könne er nicht bestätigen, dass es schon Pläne für Verlagerungen an andere Orte gebe, „es werden jetzt die Kammern aufgebohren“, um „die Konsistenz zu prüfen“ für Maßnahmen der Rückholarbeit.
Alte Kernkraftwerke schließen. Angela Merkel kann noch nicht bestätigen, welche sieben Meiler wieder ans Netz gehen könnten nach dem Moratorium.
Umweltminister Röttgen bestätigte vor Journalisten, der Fragenkatalog sei noch nicht fertig. Die Reaktorsicherheitskonferenz findet nächste Woche wieder statt. Merkel sagte, sie habe mit dem Atomgesetz § 19, in die Energiewirtschaftunternehmen stark eingegriffen. (fs)
Das Video zur Konferenz im Bundeskanzleramt/Mediathek: www.» bundesregierung.de.
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Andere Stimmen zum Thema:
http://www» .tagesschau.de/inland/atomtreffen100.html
http://www.» focus.de/politik/weitere-meldungen/atomkraft-fdp-fordert- deutsche-sicherheitsstandarts -in-der-eu_aid_611229.html
http://www.» abendblatt.de/politik/article1827007/Bericht-Merkel-plant-Rat-der-Weisen-zur-Atomkraft.html
http://» de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE72L0HS20110322