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Zum Gedenktag des Nationalsozialismus: Die Blockade von Leningrad

27. Januar 2014

„Ein Krieg wie jeder andere: voll Dreck und Blut“. (Daniil Granin, 27.1.2014)

Berlin, 27.1.2013. Erst seit 1996 begeht der Deutsche Bundestag den offiziellen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. Der 27. Januar 1945 ist zugleich der Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee.

Die bewegende und stark bildhaft gesprochene Gedenkrede hielt dieses Jahr der 95 Jahre alte Überlebende der Leningrad-Blockade Daniil Granin. Der studierte Elektrotechniker wurde am 1. Januar 1919 in Leningrad (Russland) geboren, dem heutigen St. Petersburg, wo er bis heute lebt und als Schriftsteller arbeitet.

Zu allem Unglück sei der sehr kalter Winter gewesen. Die Stadt sei bombardiert und unter massiven Artilleriebeschuss genommen worden von den Deutschen: „Die Häuser brannten mehrere Tage lang.“

Daniil Granin war im Zweiten Weltkrieg Offizier der freiwilligen Truppen und erlebte die rund 900 Tage andauernde Belagerung Leningrades, die am 27.1.1944 endete.

Im Mai 1942 hat Granin „Leichen, die leicht waren wie Brennholz“, auf Lastwagen geworfen.

Vor Hunger seien die Menschen immer schwächer geworden. Aber sie hätten weiterhin Munition und Minen produziert und Panzer instandgesetzt. „Die Blockade hielt fast drei Millionen Menschen im Würgegriff.“ Der Hunger sei in die Stadt geschickt worden, um anstelle der Soldaten Krieg zu führen.

Im Oktober seien 6.000, im November 10.000 und in den ersten 25 Tagen des Dezember 1941 40.000 Menschen gestorben: „Im Februar verhungerten täglich etwa dreieinhalb Tausend.“ Die Stadt habe wegen des Beschusses aus der Luft und der Bombardierung nicht mehr versorgt werden können.

Gemeinsam mit dem weißrussischen Schriftsteller Ales Adamowitsch 1979 veröffentlichte Granin die Dokumentation „Das Blockadebuch“. Darin sind Geschichten aus der belagerten Stadt gesammelt wie jene von dem dreijährigen gestorbenen Kind, von dessen Leichnam die Mutter täglich ein Stückchen abschneidet, um ihr zweites Kind zu ernähren. „Die Tochter wusste damals nicht, was sie zu essen bekam. Erst viele Jahre nach dem Krieg“, sagte Granin in der heutigen Gedenkstunde. Die Mutter habe sich selbst gezwungen, „nicht zu sterben und nicht wahnsinnig zu werden, weil sie ihre Tochter retten musste.“

Daniil Granin wurde ein bekannter Autor in der Sowjetunion und befürwortete Glasnost und die Perestroika. Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes.

Gleichfalls dramatisch musikalisch umrahmt wurden seine Schilderungen vom Streichquartett Nr. 8 c-moll, op. 110, Satz 1,2 und 4, geschrieben von dem St. Petersburger Dmitri Schostakowitsch. Dem Werk merkt der Zuhörer geradezu die autobiografischen Züge an. Der Komponist, geboren 1906, gestorben 1960 war Zeitzeuge. Sein Stück zähle zu den meistgespielten Streichquartetten im 20. Jahrhundert.

Zur Gedenkstunde begrüßte Bundestagspräsident Professor Norbert Lammert (CDU). Der Plenarsaal war etwa zu Zweidritteln besetzt. Auf der „Ehrentribüne“ saßen der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler (CDU) sowie Wolfgang Thierse (SPD), vormals Bundestagsvizepräsident. Im Plenarraum nahmen wie üblich der amtierende Bundespräsident Platz, dieses Mal Joachim Gauck (parteilos), Bundesratspräsident Stephan Weil (SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Voßkuhle mit Blick zum Bundespräsidium. (syl)

Mehr zu diesem Gedenktag des Nationalsozialismus: http://www.bundestag.de/