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Was bleibt? Das Kunsthaus Tacheles gibt sich geschlagen

3. September 2012

Morgen früh um 8 Uhr wird das Berliner Kunsthaus Tacheles in der Oranienburger Straße geräumt. Dass das verhindert werden könnte, davon träumt niemand mehr. Deshalb hat man zum Räumungsfrühstück eingeladen.
Am vergangenen Samstag versammelten sich rund 150 Menschen auf der Oranienburger Straße und feierten zum letzten Mal das Kunsthaus Tacheles. Ab 14 Uhr wurde die improvisierte Bühne aufgebaut, die kleinen Stände mit allerlei Dingen zum Kaufen standen schon auf dem Bürgersteig bevor das erste Mikro funktionierte.
Mit etwas Verspätung eröffnete Martin Reiter, der Tacheles-Sprecher, die Kundgebung. Nur langsam füllte sich die Straße vor dem bunten Haus, aus dessen Fenster die Unterschriftenlisten für den Erhalt des Kunsthauses hingen. Die Menschen, die an diesem Tag den Reden, Kunstperformances und den musikalischen Einlagen lauschten, waren keine aufgebrachte Menge, sondern Freunde des Tacheles und wie das Haus bunt gemischt.

 

Kunstperformance auf der letzten Kundgebung gegen die Schließung des Tacheles (Foto: C. Kürschner)

Ausverkauf: Noch einmal fotografieren, bevor alles vorbei ist

Noch einmal feierten die Tacheles-Künster ihr Haus. Es sind nur wenige Menschen gekommen um ein letztes Mal zu verkünden „I support Tacheles“. Menschen bleiben zwar neugierig stehen, überlegen, was hier stattfindet und holen letztendlich das Handy heraus, um kurz das quirlige Treiben zu filmen oder fotografieren. Noch einmal schnell das besetzte Haus fotografieren, bevor es ab diesen Dienstag verschwindet. Ab 1990 wurde das Haus von Künstlern besetzt. Als sich einige Jahre später die Fundus-Gruppe das Grundstück samt Tacheles unter den Nagel riss, waren die Künstler noch bereit zum Kämpfen. Es gab etwas zu beschützen: Das Kunsthaus ist zum Treffpunkt für alternative Musiker, Veranstalter und Künstler geworden. Das Tacheles stand so lange Zeit für das Berlin, das zwar arm aber an Idee reich ist. Der Besitzer ging in die Insolvenz bevor das Haus geräumt werden konnte, wodurch das ganze Grundstück nicht für Pläne wie Luxus-Eigentumswohnungen und ein Hotel umgebaut werden konnte.
Seitdem ist das Haus mit dem umliegenden Grundstück in der Hand des Gäubigers HSH Nordbank, die selbst finanzielle Schwierigkeiten hat und mit Hilfe von Steuergeldern unterstützt wird. Seit Monaten gibt es rechtlichen Streit zwischen Investoren und Künstlern, der seinen Höhepunkt darin fand, dass eine Security-Firma das Tacheles absperrte und laut Reiter Bilder des Tacheles-Künstlers Alexander Rodin zerstörten. Der Strom wurde im Haus bereits Anfang August abgeschaltet; wegen fehlender Brandschutzbedingungen und der nicht funktionierenden Notbeleuchtung durften Touristen das Gebäude bereits nicht mehr betreten.

 

Am vergangenen Samstag fand die letzte Kundgebung statt, morgen soll das Tacheles geräumt werden (Foto: C. Kürschner).

Berlin verliert – nicht das Tacheles

Mit ein wenig Hang zum dramatischen Ton steigt Martin Reiter an diesem Sonnabend immer wieder auf die Bühne, um über die Geschichte des Tacheles zu erzählen und die Sicht der Künstler darzustellen. Ganz klar ist für ihn, dass nicht die Künstler das Tacheles verlieren. Diese könnten irgendwo anders ihrer Kunst nachgehen. Viel erschreckender sei der „Investorenwahn“, der in Berlin um sich greife und der zu einem „Umbau der Stadt“ führe, so Reiter. Die Oranienburger Straße wurde in den letzten Jahren aufpoliert, Wohnungen entstanden, der hochwertige Einzelhandel und Bars sind hier jetzt zu finden, das Tacheles steckt wie ein schlechter Zahn zwischen diesen Immobilien. Man wittert das Geld, das in der Immobilie steckt. Wahrscheinlich auch deshalb ist aus der Politik relativ wenig zu hören. Der Berliner Kultursenator Klaus Wowereit ist gerade anderweitig beschäftigt und meldet sich nicht zu Wort, obwohl man ihn mehrmals um Hilfe gebeten hat. Das Tacheles ist sich selbst überlassen. Das sieht man auch an diesem Samstag, denn es sind außer den engen Anhängern des Kunsthauses keine Menschen zur Unterstützung gekommen. Die Touristen bleiben neugierig stehen, gehen dann aber mit dem Stadtplan in der Hand weiter. Da kann man einmal die Frage stellen, warum das Tacheles erhalten werden soll, wenn selbst die eigene Stadtbevölkerung sich nicht dafür interessiert. Vielleicht weil es ein Mahnmal der vergangenen 20 Jahre ist und damit ein wichtiger Ort der Berliner Geschichte. Aber so ist die Räumung des Tacheles nur ein Teil der Umstrukturierung der Stadt, womit Berlin auf dem besten Weg ist, sein Gesicht zu verlieren und zu einer völlig geglätteten, vernachlässigbaren Großstadt zu werden. Die Tacheles-Künstler haben schon recht: Berlin verliert einen einmaligen Teil seiner Identifikation und damit unweigerlich an Charme.

Text: Christiane Kürschner

 

Gysi kämpft für den Erhalt des Tacheles

29. August 2012

Von Helmut Lorscheid

Berlin, 29.8.2012. Am 4. September 2012 sollen auch die letzten dort bis heute ohne Wasser und Stromversorgung ausharrenden KünstlerInnen aus dem Tacheles endgültig vertrieben werden. Die Räumung ist für diesen Tag angedroht. Anfang August 2012 hatte der Vorsitzende der Linken Fraktion und Berliner Bundestagsabgeordnete Doktor  Gregor Gysi das Haus besucht und sich bereits in Briefen an den derzeitigen Besitzer, die HSH Nordbank in Hamburg, sowie den möglichen Käufer, Harm Müller-Spreer, gewandt.

Im Brief an den für den Bauskandal-Investor heißt es wörtlich: „Sollten Sie tatsächlich ein Interesse am Erwerb des Grundstücks haben, sind Sie zweifellos auch an einer kommerziell günstigen Verwertung interessiert. Ich glaube aber, dass Sie für sich und Ihr Projekt Reklame machen könnten, wenn Sie selbst darauf hinwirkten, dass das Kunsthaus auch künftig besteht. Der Verein war in der Lage, die Kosten, die er verursachte, selbst zu erwirtschaften. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn Sie diesbezüglich auf die Künstlerinnen und Künstler zugingen und ihnen vertraglich den Fortbestand des Kulturhauses – auf deren eigene Kosten – zusicherten. Sie hätten zwar wirtschaftlich nichts vom Kulturhaus, aber ich denke, dass Sie die übrigen großen Teile des Grundstücks sogar besser verwerten könnten, wenn das Kunsthaus dort bestehen bliebe.“

Gregor Gysi besuchte das Tacheles (Photo: c. Petrov Ahner)

Bundestagsabgeordneter Gregor Gysi (Die Linke) besuchte das Tacheles am 3. August 2012(Photo: c. Petrov Ahner)

In einer Kleinen Anfrage (Drucksache  17/ 10530) erkundigt sich die Bundestagsfraktion Die Linke nach dem möglichen Engagement der Bundesregierung zum Erhalt des Kunsthauses Tacheles in Berlin.

In der Vorbemerkung zu ihren Fragen heißt es unter anderem, das „Berliner Kulturhaus Tacheles in der Oranienburger Straße“ habe nicht nur in Berlin Kultstatus, sondern sei  auch bei vielen Touristen, die aus aller Welt Berlin besuchen, bekannt. Dazu haben neben der dort zu besichtigenden Kunst sicherlich auch der gewisse eigentümliche Charme des Kulturhauses sowie unzählige Veranstaltungsaktionen, viele davon im Goldenen Saal, beigetragen.

Die Bedeutung des Kulturhauses sollte über die Landesgrenzen hinweg diskutiert werden. Seit geraumer Zeit ist das Kulturhaus, welches aus einer Künstlerinitiative Anfang der 1990er-Jahre entstand, nicht mehr sicher, wie die Kunstszene in Berlin aussehen wird und welche Rolle das Tacheles spielt. Ein Mietvertrag lief Ende 2008 aus. Das gesamte Grundstück mit einer Größe von 25.000 Quadratmeter, auf dem das Kulturhaus steht, soll verkauft werden. Dabei nimmt das Kulturhaus nur 1.250 Quadratmeter in Anspruch! Einer gewerblichen Nutzung des Grundstücks durch den neuen Eigentümer unter Fortführung des Kulturhauses stünde generell nichts im Wege. Außerdem bieten sich mit dem Fortbestand des Kulturhauses, dessen internationale Bekanntheit nicht bestritten wird, interessante wirtschaftliche Nutzungsmöglichkeit.

Der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi und seine Fraktion möchten von der Bundesregierung nun erfahren, ob sie sich mit potenziellen Käufern, dem Land Berlin sowie dem Kulturhaus Tacheles selbst in Gesprächen befinde und falls nicht, was die Bundesregierung plant, um den Fortbestand des nicht nur für Berlin wichtigen Kulturhauses zu sichern? 

Gefragt wird ferner nach der Eigentümerabfolge, sowie, wann das betreffende Grundstück, auf dem das Kulturhaus steht, vom Bund zu welchem Preis an wen verkauft wurde. Außerdem verlangen Die Linken Auskunft über die damaligen Vertragsbedingungen sowie Investitionsauflagen.

Hintergrund dieser Fragen sind Vorschriften, denen zufolge ein Käufer städtischen Eigentums zu bestimmten Investitionen und Entwicklungsmaßnahmen verpflichtet ist. Der damalige Käufer, eine Firma der Fundus-Gruppe des Anno August Jagdfeld, hatte ihre Zusagen gegenüber der Bank und auch gegenüber der Stadt Berlin beziehungsweise dem Bund als Verkäufer, nicht erfüllt. Daraus könnte sich möglicherweise auch heute noch ein Rückkaufsrecht für den Bund ergeben.

Der Kampf um den Erhalt des Tacheles scheint noch lange nicht zu Ende zu sein.

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Ältere Artikel zum Kunsthaus Tacheles:

2012, von Lorscheid: http://demokratie-spiegel.de/wordpress/2012/08/berlin-verjagt-die-kunstler/

2010, von Lorscheid, Sylla: http://url9.de/p8Y

2010, von Stefan Jalowy: http://url9.de/p91